Der messianische Schatz in unseren irdischen Gefäßen

 


„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. Seid nun besonnen und seid nüchtern zu den Gebeten! Vor allen Dingen aber habt untereinander eine an­haltende Liebe, denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden. Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren. Wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat, so dient damit einander als gute Ver­walter der verschiedenartigen Gnade Gottes. Wenn jemand redet, dass er es rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, so als aus der Kraft, die Gott darreicht, damit in allem Gott verherrlicht werde durch den Messias (Chri­stus) Jeschua, dem die Herrlich­keit ist und die Macht in alle Ewigkeit. Amen" (1.Petrus 4,7-11).

 

Für den Apostel Petrus be­stand kein Zweifel daran, dass mit dem Messiasgeschehen, dessen Zeuge er war, das Ende aller Dinge nahe gekommen war. Dies war für ihn und seinesgleichen nicht etwa eine Untergangs- und Horrorvision, wie „das Ende aller Dinge" heute leer und verzerrt als „Weltuntergang" missverstanden wird. Vielmehr beinhaltete es für ihn die Erwartung des Antritts der offenbaren Herrschaft des ver­herrlichten Messias Jeschua, deren Anbruch die ersten messianischen Schüler immerhin er­leben durften. Und damit einher­gehend erwartete er auch im Einklang mit den Propheten und Aposteln die „Umwandlung der Schöpfung" (Jes.65; Röm.8,18ff): „Wir erwarten aber nach seiner Verheißung einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Ge­rechtigkeit wohnt" (2.Petr.3,13). Der Grund seiner wie unserer Hoffnung ist dabei allein der Messias Jeschua, denn er ist un­sere Zukunft. Solange seine Zu­kunft („Advent") noch aussteht, leben wir allerdings in einer Antinomie (Widersprüchlichkeit): ein­gespannt nämlich im Widerstreit zwischen dem „alten Adam" mit seinem sterblichen Leib einerseits und dem Anbruch der neuen Schöpfung, die der Geist Gottes in uns schon schaffen und bilden möchte; - und bildet - nämlich nach dem Bild seines Sohnes Je­schua, inwiefern wir das an uns zulassen. Diese Neuschöpfung ist hier prozesshaft, gerade so wie unsere Lebens- und Glau­bensgeschichte selbst. Wir wür­den uns aber täuschen, wenn wir von uns dächten, wir seien dabei bloß passives Objekt, Zuschauer und Zaungäste, wenngleich die wirklich kreative Kraft und Gnade in der Tat allein vom Schöpfer selbst ausgehen. Wir können ihn dabei nämlich behindern (das ist übrigens auch die Wurzelbedeu­tung des hebräischen Wortes „Satan"; s. auch 1.Thess.5,19) oder wir können uns sein Wirken an uns und durch uns gefallen lassen, uns ihm hingeben. Dazu möchte der Herr uns immer wie­der herausfordern, gleichsam aus unserer natürlich-trägen Re­serve herauslocken und für seine Sache einsetzbar machen.

 

Die neue „Religiosität"

Der natürliche Mensch, übri­gens durchaus auch der „reli­giöse" Mensch mag sich darauf allerdings nicht einlassen. Denn es geht hier nicht um eine pas­sive Kirchen- oder wohlig selbst­befriedigende Gemeindezuge­hörigkeit, sondern um eine aktive Beteiligung an der in Zerstreuung leidenden und kämpfenden Lei­besgemeinde des Messias, und dies umso intensiver, je mehr Versuchung und Anfechtung für sie in der heutigen Zeit wachsen und zu übermannen drohen. Kir­chen und Gemeinden tendieren so schon längst, zu bloßen „religiösen Betreuungsinstituten" zu verkommen, die eben der viel höheren Verkündigungs- und Be­kenntnisverantwortung „jedem gegenüber, der Rechenschaft von euch über die Hoffnung in euch fordert", (1.Petr.3,15) na­hezu gänzlich schon aus dem Weg gehen. Außerdem kenn­zeichnet sie eine letztlich unen­gagierte, nur um sich selbst rotie­rende „situationsblinde und geschichtsvergessene Heilsmeta­physik" (J.B.Metz); blind und träumend lebt man auf der Insel des seligen „Heute" im wohligen Schoß „unserer Gemeinde".

 

Dabei kann und darf es ei­gentlich nicht verwundern, dass Jeschua in der Offenbarung be­zeichnenderweise an die Ge­meinde in Philadelphia („Bruderliebe") zentral die Verkündigung und das Bekenntnis besonders gegenüber den Juden einfordert, damit sie „erkennen, dass ich dich (d.i. seine Leibesgemeinde aus gläubigen Juden- wie Nationen­christen) geliebt habe" (Offb.3,9). Wesentlich ist ihm dabei, dass sein Wort bewahrt und sein Name gerade auch den Juden als seinem Eigentumsvolk ge­genüber nicht verleugnet wird (ebd. V.8)! Darin erweist sich die echte Bruderliebe - nämlich als die dem Bruder dargebrachte Messiasliebe. Was ist daraus aber gemacht worden?! Und wo sind die Lehren, die man aus diesem offenkundigsten Versa­gen christlicherseits gezogen hätte? Immerhin bindet der Mes­sias seine endzeitliche Bewah­rung vor der „Stunde der Versu­chung, die über den ganzen Erd­kreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde woh­nen", an unser Bewahren des Wortes „vom Harren auf mich" (V. 10)! Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der den (messianischen) Schlüssel Davids hat (V.7). In ihm allein ist also unsere Hoff­nung begründet. Seiner Zukunft harren wir tätig entgegen - nach dem Vorbild der ersten jüdischen Apostel, sei das ein Petrus, ein Jo­hannes oder ein Paulus.

 

Diener des Wortes Jesu

 

Sind wir als Diener des Herrn unfehlbar? Wir würden uns etwas in die Tasche lügen, würden wir das behaupten wollen. Denn wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns (1. Joh.1,8). Daher schreibt der alte Johannes, dem alles an der Liebe des Messias Jeschua, die er an sich erfahren durfte, gelegen war (Joh. 13,23; 20,2), seinen „Kindern, damit ihr nicht sündigt; und wenn jemand sündigt - wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater: Jeschua Ha-Ma-schiach, den Gerechten" (1. Joh. 2,1). Müssten wir heute nach allem nicht vielmehr - und ehrli­cher fragen, ob wir als Diener des Herrn überhaupt noch zu gebrau­chen sind? In vielen Gemeinden ist heutzutage ein Phänomen schon heimisch geworden, das ständig nach sensationellen „Be­kehrungsgeschichten", „Visio­nen" und „Gesichten" dürsten lässt, die aber an echter geistli­cher Substanz nicht mehr viel bis gar nichts mehr aufzuweisen haben. Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass stets nach „charismatischen Führungsper­sönlichkeiten" Ausschau gehalten wird, die mit viel angelernter Spiegelfechterei und publikums­wirksamem Feuerwerk einer aus­gepowerten Christenheit „Glau­benskraft" vorgaukeln und sich schon bald als leere und lahme Hologramme herausstellen müs­sen, da sie der wirklichen Schöp­ferkraft des Messiasgeistes ent­behren? Dabei hat Paulus schon geradezu als „Gesetz" erkannt, dass der Herr eben genau dann wirkt, wenn wir schwach sind und uns als solche erkennen mussten: der ganze 2.Korintherbrief singt doch davon das Lied! Und eben darum geht es ja auch beim vermeintlich am Kreuz Ge­scheiterten: „denn er wurde zwar in Schwachheit gekreu­zigt, aber er lebt aus Gottes Kraft" (2.Kor.13,4). Ist es wirklich diese Kraft, die wir in den Gemeinden heute sehen? Oder ist es bei allem „synkretistisch-religiösem" Wellness- und Wohl­fühlchristentum eben doch wie­der nur die letztlich kraftlose Form der Gottseligkeit? Freilich auch eine Form der Gottseligkeit, die sich selbst dabei oft über­schätzt. Und als je kraftloser sie sich in der Folge erweist, desto selbstgerechter muss sie sich geben, um die Kraftlosigkeit zu kompensieren und zu überspie­len. Und darin allerdings wird der Kern tiefinnerlichen Unglaubens ansichtig, da diese Gläubigen sich eigentlich eben doch nur auf sich selbst zu stützen vermögen und dem Herrn sowohl den Ge­horsam wie die Treue und das Vertrauen verweigern. Ganz recht hat hierzu Bonhoeffer ein­mal angemerkt, dass das heute so oft gehörte Verlangen nach den „bischöflichen Gestalten", nach den „priesterlichen Menschen", nach den „vollmächtigen Persön­lichkeiten" oft genug „dem geistlich kranken Bedürfnis nach Bewunderung von Men­schen, nach Aufrichtung sicht­barer Menschenautorität" ent­springe, „weil die echte Auto­rität des Dienstes zu gering er­scheint." Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob nicht gerade deswegen auch die biblischen Gestalten und „Hel­den" oftmals eben als „schwa­che" Sünder mit allzumenschli­chen Leidenschaften und Trieben gezeigt werden, um damit näm­lich solcher falschen Menschen­verehrung von vornherein den Riegel vorzuschieben!

 

Als ich in jungen Jahren mit meinem Großvater mütterlicher­seits zwischen der Schweiz und Israel über die Messianität Jesu korrespondierte, schrieb er mir einmal, dass das Alte Testament ihm gerade deswegen sympathi­scher sei (und er hatte das Neue Testament durchaus auch gele­sen), da die biblischen „Helden" immer so entwaffnend mensch­lich und unvollkommen blieben -eben wie unsereiner. Dass sie, selbst wenn es sich um Könige wie David oder Salomo handelte, nie als „Vollkommene" oder „Hei­lige" dargestellt worden seien und das auch selbst so unbeschönigt gelten ließen - im Ge­gensatz etwa zu den „christlichen Heiligenlegenden". Es mag aber vielleicht nicht ganz abwegig sein, sich zu fragen, ob das her­kömmliche „christliche" Verständ­nis von „Heiligkeit" und „Vollkom­menheit" verzerrt und missverstanden ist. Wurde und wird in der Christenheit nicht immer wie­der der eigene Stand mit dem des Messias verhängnisvoll verwech­selt und vertauscht? So als hätten wir selbst das Ziel schon er­reicht - wobei das „im Messias Jeschua" dabei zunehmend ausgeblendet und bedeutungslos wurde. Daher sah Bonhoeffer richtig, dass sich echte Autorität im strengsten Sinne gebunden wisse an das Wort Jesu: „Einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder" (Matth.23,8). „Die Gemeinde braucht nicht", so Bonhoeffer, „glänzende Per­sönlichkeiten, sondern treue Diener und Brüder. Es fehlt ihr auch nicht an jenen, sondern an diesen. Die Gemeinde wird ihr Vertrauen nur dem schlich­ten Diener des Wortes Jesu schenken, weil sie weiß, dass sie hier nicht nach Menschen­weisheit und Menschendünkel, sondern mit dem Worte des guten Hirten geleitet wird. Die geistliche Vertrauensfrage, die mit der Autoritätsfrage in so engem Zusammenhang steht, entscheidet sich an der Treue, mit der einer im Dienste Jesu Christi steht, niemals aber an den außerordentlichen Gaben, über die er verfügt. Seelsorger­liche Autorität kann nur der Diener Jesu finden, der keine eigene Autorität sucht, der selbst unter die Autorität des Wortes gebeugt ein Bruder unter Brüdern ist." Doch so ver­breitet heute das Phänomen ein­gebildeter oder angemaßter Au­torität ist, gibt es auch das umge­kehrte missverstandener wirkli­cher Autorität, die diese an die Person bindet. Auch hier wird das „um Christi willen" oder „in Chri­sto" außen vorgelassen und igno­riert. Es reicht dann aber schon der nächste Fehltritt der „Auto­ritätsperson", um deren Autorität (die ja im Echtheitsfalle aus dem Messias und seiner Be­auftragung allein entspringt) anzufechten oder gar die Bruder­schaft scheinbar unumkehrbar zu zerschlagen und aufzukündigen. Das klassische Beispiel dazu lieferte Moses (Mosche) selbst, wie im 4.Mos.12 festgehalten. Er sollte sich nämlich für ein per­sönliches Fehlverhalten („des kuschitischen Weibes wegen, das er genommen hatte, denn ein kuschitisches - möglicher­weise aus Äthiopien stammend - Weib hatte er genommen"; damit war freilich nicht seine midianitische Frau Zippora ge­meint gewesen) vor seinen leiblichen Geschwistern recht­fertigen, das ihnen zum Anstoß geworden war und das sie nun zum Anlass nahmen, ihm seine besondere Stellung vor Gott und seine Sendung streitig zu machen. Für einen Augenblick vergaßen die Geschwister, Mirjam und Aaron, dass es hierbei nicht um persönliche Ambitionen oder Hintanstellung ging (12,2). Der Herr wusste eben, dass der Mann Mose sehr demütig war, „mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren" (12,3). Im Unterschied zu den rechtenden Geschwistern, denen es um „stammes-moralische und traditionsbewusste Integrität" zu tun war, achtete der Herr vielmehr auf das anhaltend bewährte Tun des Mosche, das ihn unzwei­felhaft als „treu in meinem ganzen Haus" auswies. Mit ihm redete er „von Mund zu Mund, im Sehen und nicht in Rätselworten" und ihn hatte er immerhin auch gewürdigt, die „Gestalt des HERRN" zu schauen (12,8)! Vor allem Mosches Schwester Miriam fühlte sich berufen, zur An­stifterin der offenen Auflehnung gegen ihren Bruder zu werden. Die Grammatik des hebräischen Satzes und die Bestrafung Miriams in Vers 10ff. sprechen für eine solche Deutung. Anklage­punkt war die oben erwähnte „kuschitische Frau, die er genom­men hatte" (Vers 1). An Zippora konnte man nicht denken, weil ja die Heirat mit ihr so lange zurück­lag und nicht so spät zu einem Anklagepunkt werden konnte.

 

Miriam und Aaron bestritten Mosches Einzigartigkeit und meinten, dass die Stunde einer Generalabrechnung gekommen sei. Denn auch sie sahen sich in ihrer Selbstgerechtigkeit als Pro­pheten. Gewiss, Miriam war die erste Prophetin der Schrift (vgl. 2.Mos. 15,20). Aaron indes war Mosches Mund (2.Mos. 4,15; vgl. 2.Mos 7,19), weil Mosche der he­bräischen Sprache nicht mächtig war, denn er war ja im Haus des Pharao Sethos l. aufgewachsen, wo die Sprache der hebräischen Sklaven verpönt war. Aber all das hebt Mosches Vorrang nicht auf. Nach Gottes Bestimmung sollte Mosche für Aaron „Gott sein" (2.Mos. 4,16). Miriam erhielt als Frau keinerlei Leitungsaufgaben. Gottes Zorn entbrannte gegen Miriam" (Verse 7-8). Das Gericht geschieht durch sein „Wort" (vgl. Offb. 19,15). Die Bezeichnung „awdi Mosche" erinnert an Jeschua als den „awdi David" (Mein Knecht David, Hes. 34,23). Welch eine Ehre, so als Gottes Knecht bezeichnet zu werden. Aber Kuschiterin hin oder her, in den Augen Gottes hat sich Mo­sche „in meinem ganzen Hause als treu erwiesen", denn Mosche hat schließlich treulich seinen Dienst an dem Volke Israel ver­richtet, dagegen hatten Miriam und Aaron nur Teilaufgaben. Und dass Mosche auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war, der sündigte, als er später acht­los am Berge Nebo gegen den Felsen schlug, damit Wasser her­vorginge, ohne dabei Gott die Ehre gegeben zu haben, zeigt eben unser aller Fehlbarkeit, die uns auf Gottes Barmherzigkeit fallen lässt.

 
„Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, gegen meinen Knecht Mosche zu reden?" fragt der Herr die Schuldigen dieses Aufstan­des. Und Gottes Zorn entlädt sich über Miriam als der Drahtziehe­rin, die vom Aussatz befallen wurde. Miriams Strafe blieb ein­drücklich (5.Mos. 24,9) und fand ein Gegenstück bei König Usija (787-736 v.Chr.; 2.Chr. 26,19ff.). Gottes Gericht hatte Aaron wie­der zur Besinnung gebracht. Mi­riams Schuld war sündhaft und Torheit zugleich (2.Sam. 24,10; Spr. 1,7), weil sie meinte, über Mosche richten zu dürfen. Miriam sah die Gelegenheit gekommen, damit auch gegen Gottes Ord­nung zu rebellieren.

Aber das Kapitel macht deut­lich, dass sich Mosche deswegen nicht zu einer aus sich selbst „heiligen" Gestalt gemacht hat -sich auch nicht zu einem solchen Idol stilisieren ließ (sonst würden wir 4.Mos.12 nicht in unserer Bibel nachlesen können!). Nein -er blieb ein Mensch mit allen Be­dürfnissen, Schwachheiten und Gebrechlichkeiten wie unserei­ner; und dabei ganz besonders der Liebesbedürftigkeit wie un­sereiner ausgesetzt. Es gilt auch zu bedenken, dass Mosche da­mals schon über achtzigjährig war (2.Mos.7,7 mit 4.Mos.10,11).

 

Oder denken wir an König Davids Sünde mit Bat-Schewa und die Blutschuld, die dieser Gottesgesalbte auf sich geladen hatte (2.Sam.11f). Seine sexuelle Schwachheit trieb ihn sogar zum indirekt begangenen Mord. Die Schrift macht in diesem Fall auch gar keinen Hehl daraus, dass die Sache, die David begangen hatte „in den Augen des Herrn" böse war (11,27). Er sollte dafür ja auch einen teuren Preis bezah­len. Nicht ein durch Gerüchte und Verleumdungen von anderer Seite aufgeheiztes Fehlverhalten waren es allerdings, die den Pro­pheten Nathan zu David kommen ließen, sondern der Herr selbst aufgrund des offenkundigen Tat­bestandes von Davids Fehlver­halten. Um eine verheiratete Frau hatte der König gebuhlt und dabei seinen hohen Status aus­genutzt, um den unliebsamen Ehemann auszuschalten (2.Mos. 20,13.17). Nichtsdestoweniger wagte es der Prophet Nathan nicht, dem König in direkter Rede entgegenzutreten. Er sprach zunächst im Gleichnis zu ihm -und der König ließ sich demü­tigen. Die Vergebung Gottes ist dann unverzüglich (12,13). Aber dennoch: „Nur weil du den Fein­den des Herrn durch diese Sache Anlass zur Lästerung gegeben hast, muss auch der Sohn, der dir geboren ist, sterben" (12,14). Leben für Leben wegen der Blut­schuld, die er auf sich geladen hatte. Die Schrift beschönigt dabei nichts - denn es geht eben immer zuerst um die Ehre des Herrn, nicht um die seiner Diener, wenngleich er es ist, der ihnen seine Autorität zur Ausführung seines Auftrages schenken mag! So macht die Schrift auch immer wieder deutlich, dass es uns um die Gerechtigkeit Gottes gehen muss - nicht um unsere Selbstge­rechtigkeit, die nichtig ist. Und so kann David am Ende seiner Leb­tage reinen Gewissens sprechen: „Der Geist des Herrn hat durch mich geredet, und sein Wort war auf meiner Zunge" (2. Sam.23,2).

 

„Kreuzeserfahrung"

Es ist unter Christen ein oft gehörtes Argument, um sich gleichsam vom Alten Testament etwas abzusetzen, dass wir ja aber heute im Neuen Bund leben. Solche handfesten Sünden, wie die eben angeführten, müssten angeblich also gänzlich tabu sein. Ist dem aber wirklich so? Oder treffen wir auch hier wieder auf die schon erwähnte „situati­onsblinde und geschichtsvergessene Heilsmetaphysik", die sich dadurch auch uneingestandener Weise etwas gerechter und „heili­ger" vorkommt als jene alttestamentlichen „Halbbarbaren"? In dieser Hinsicht scheint mir aber das „jüdische" Argument an die christliche Adresse, dass von der erwirkten Erlösung Christi gerade unter der Christenheit und in den Jahrhunderten „christlicher Mis­sion" so wenig zu sehen war und ist, ein heilsamer „Stachel im Fleisch" des christlichen Selbst­verständnisses zu sein. Wir sind keine vollkommenen ätherischen Wesen, sondern stehen „im Fleisch" in einem geistlichen Wachstumsprozess „zu unserem Haupt, dem Messias", hin. Unser Vorsprung müsste im Neuen Bund gerade die Erkenntnis und das Bewusstsein unserer Unfähigkeit und „Anfälligkeit im Fleisch" sein, die uns auch versuchbar und fehlbar machen. Allein der unent­wegt reifende Blick auf den An­fänger und erwarteten Vollender des Glaubens, den Messias Jeschua, und seine aktive Nach­folge werden uns dabei immuni­sieren. Aber wer möchte heute noch sein Kreuz auf sich nehmen - kein mystisch eingebildetes, sondern das wirklich auferlegte. Es ist das Kreuz des Messiasbekenntnisses, das nicht zulässt, dass wir uns mit der antimessianischen Gegenwart opportuni­stisch verschwistern, sondern uns von ihr löst, uns ihr frei entgegentreten lässt. Dann ist es aber auch aus mit einem letztlich selbstgefälligen „Wohnstuben­christentum", das sich in der je­weiligen Gegenwart und im Kreis der Familie immer wohlig einzu­richten weiß. Dann ist uns, auf ihn harrend, die Zukunft des Mes­sias wichtiger als die muffige Ge­genwart der Welt mit ihrem Zwang zur Idolarie und Vergötzung vermeintlicher „Tatsachen". Dann werden wir auch fähig sein, unseren Bruder, uns selbst und überhaupt jeden Mit-Menschen nicht zu idealisieren oder zu ver­teufeln, sondern jeweils als den Sünder zu erkennen, für den der Messias sein Leben als Schuld­opfer hingegeben hat und der ihn braucht, um zu leben und zu lie­ben! Dann wird der Bruder - und ganz besonders der Bruder, der von einem Fehltritt übereilt wird, zum Testfall für die Echtheit un­serer Gottesliebe!

 

Menschen sind wir ja alle; „Adam", der Mensch ist ein Erdung, denn hebr. „adama" ist die Erde. Denn hieran sollten wir doch seine, d.h. Jesu, Liebe erkannt haben, dass er für uns (Sünder!) sein Leben hingegeben hat; und nun sind auch wir schuldig, für die Brü­der das Leben hinzugeben. Wer aber der Welt Güter hat und sieht seinen Bruder Mangel lei­den und verschließt sein Inneres vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm? So wusste und fragte noch ein Johannes (1. Joh. 3,16f), ja so weit ging er. Wo gibt es aber noch Christen, die nicht nur so denken, sondern auch da­nach handeln (1.Joh.3,18)? Ge­rade die Erkenntnis unserer Fehlbarkeit im Angesicht des Messias müsste aus uns doch treue und vergebende Brüder machen, die füreinander einstehen und einan­der dienen. Oder wollen wir wie­der gesetzlich denken einer über den anderen? Daher hatte der Heiland die Rechtsforderung des Gesetzes noch verschärft, indem er so die innerste Absicht der Ge­bote dabei offen legte: „Du sollst nicht ehebrechen" beginnt nicht beim Akt des Ehebruchs, son­dern schon wenn einer eine Frau ansieht, sie zu begehren! Wel­cher Mann kann dann noch ehrlicherweise von sich behaupten, kein Ehebrecher zu sein? Wem bereitet dieser Gedanke aller­dings noch eine echte Not? Viel­mehr haben wir gelernt, die Sünde zu relativieren und einzu­ebnen - frei nach dem Motto: wenn ja sowieso jeder ein Ehe­brecher ist, dann ist keiner einer; beziehungsweise, dann lasst uns fröhlich sündigen, denn keiner ist gerecht! Genau dagegen wandte sich Paulus (Röm.6.1.15), indem er zeigte, dass so der fleischliche Mensch das geistliche Gesetz Gottes zum Vorwand seiner Sünde nimmt. Wir spotten damit also Gottes! Vielmehr müsste uns die Tatsache, dass wir alle Sünder sind, in die Arme des Heilandes treiben, von dem der Geist Gottes ausgeht und neues Leben in uns schaffen möchte! Ebenso müssten wir dann auch voraussetzen dürfen, dass uns der Mit-Bruder verstehen kann. Wir müssten uns nicht mehr fragen, ob er nicht vielleicht in seinem christlichen Leben so hoch über uns steht, dass er sich gerade von un­serer Sünde (1. Joh. 5,16; Jak. 5,19f; Gal.6,1f) nur verständnis­los abwenden kann.

Denn „wer unter dem Kreuze Jesu lebt, wer im Kreuze Jesu die tiefste Gottlosigkeit aller Menschen und des eignen Herzens er­kannt hat, dem ist keine Sünde mehr fremd; wer vor der Furchtbarkeit der eigenen Sünde, die Jesus ans Kreuz schlug, einmal erschrocken ist, der erschrickt auch vor der schwersten Sünde des Bru­ders nicht mehr. Er kennt das menschliche Herz aus dem Kreuz Jesu. Er weiß, wie es gänzlich verloren ist in Sünde und Schwachheit, wie es sich verirrt auf den Wegen der Sünde, und er weiß auch, wie es angenommen ist in Gnade und Barmherzigkeit" (D.Bonhoeffer).

Denn es ist ja kein mut­williges Sündigen mehr, so wir wirklich die Erkenntnis der Wahr­heit empfangen haben (Hebr. 10,26). Diese „Kreuzeserfah­rung", wichtiger letztlich als alle Lebenserfahrung, kann auch nicht zu einer Indifferenz oder einem Sich-Abwenden vom Bruder führen, welche ihn in seinem Zustand belässt und allein lässt, denn dann würde sie sich so selbst ad absurdum führen (1. Joh.4,20.21). Erst wenn wir diese Zusammenhänge verste­hen, können wir nachvollziehen, wie für Johannes die eigentliche Sünde fortan die Leugnung des Namens Jesu, seiner Messianität und Sendung Gottes ist: denn sie „tritt den Sohn Gottes mit Füßen, achtet das Blut des Bundes, durch das wir geheiligt wurden, für gemein und schmäht den Geist der Gnade", um es mit den Worten des Hebräerbriefes aus­zudrücken (10,29; 1. Joh.2,22.23; 5,16-20; Offb.3,8). Denn wer bewusst den Messias Gottes, Jeschua, verleugnet, wirkt und handelt seinem eigenen Heil zuwider und hindert auch seinen Mitmen­schen daran, ihn kennenzuler­nen. Die Bruderliebe ist dabei der Lackmustest der Echtheit unse­rer Erkenntnis - um wie viel mehr gilt dies für das Messiasbekennt­nis gegenüber seinem noch im Irrtum verharrenden jüdischen Ei­gentumsvolk und erst recht den Glaubensgeschwistern daraus (Röm.15,26.27)!

 

 

Bruderliebe (Philadelphia)

So mahnt uns Petrus in unse­rem Eingangswort (1.Petr.4,8) und hält uns dazu an, „eine an­haltende Liebe untereinander zu haben, denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden! Pe­trus spricht aus der selbst erfah­renen Messiasliebe Jesu!

 

Wir fragen also nochmals: sind wir noch zu gebrauchen für die im Lauf der bekannten Ge­schichte so geschundenen Bot­schaft des Heilandes? „Wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat, so dient damit einander als gute Verwalter der verschieden­artigen Gnadengaben Gottes" (ebd. 4,9f). Dabei sollen wir einer die Lasten des anderen tragen und ertragen (Gal.6, 2), gerade wenn der Bruder von einem Fehl­tritt übereilt wird. Paulus mahnt gerade dann, auf sich selbst achtzuhaben, „dass nicht auch du versucht wirst" (Gal.6, 1)!  Viel­mehr sollen wir die „Gemein­schaft des Geistes mit herzli­chem Mitleid und Erbarmen" in der Gesinnung des Messias er­füllen, wobei einer den anderen höher achtet als sich selbst; ein jeder nicht auf das seine sehe, sondern auch auf das der ande­ren" (Phil.2,1 ff)!

 

Daher: Lasst uns das Be­kenntnis der Hoffnung unwan­delbar festhalten - denn treu ist er, der die Verheißung gege­ben hat -; und lasst uns aufein­ander Acht haben, um uns zur Liebe und zu guten Werken an­zureizen, indem wir unser Zu­sammenkommen nicht im Stich lassen, wie es bei einigen Sitte ist, sondern einander er­muntern, um so mehr, je mehr ihr den Tag herannahen seht (Hebr.10,23-25). Dieses Be­kenntnis der Hoffnung beinhaltet wesentlich, dass wir am Wort vom Harren auf den im Kommen be­griffenen Messias Jeschua allen Widrigkeiten zum Trotz festhal­ten, seinen Namen nicht verleug­nen (auch und besonders ge­genüber „den Juden") nicht ver­leugnen und einander dienen (Offb.3,8-10). Dann werden wir die Bruderliebe bei aller Anfech­tung erfüllen.

 

Lob der Schwachheit

So weiß ich von meinem eige­nen Erleben, da meine Frau und ich beide aus biologischen Grün­den eigentlich kein Kind haben konnten. Alle Ärzte, die hier in Is­rael konsultiert wurden, gaben dieselbe Diagnose ab, dass das ohne „medizinische Eingriffe" kaum möglich sein würde. Nur der Zuspruch unseres treuen Bruders und Pastors unserer Ge­meinde Mosche und dessen Tauf-Gebet erhielten bei uns die Hoffnung am Schwelen, dass dem Herrn und seinem Gesalbten nichts unmöglich wäre - wie im Falle Abrahams und Saras, Ja­kobs und Racheis oder Hannas. Wiederholt hörte ich meine Frau in ihrer ungeduldigen Verzweif­lung sprechen: „Aber ich bin doch keine Sara, Rachel oder Channa. Ich bin dessen doch unwürdig!" Nur wenige Monate später war sie jedoch mit einem Kind schwanger!

 

Erst wenn man das einmal so hautnah erlebt hat, vermag man zu ermessen beginnen, was Pau­lus gemeint hat, als er sprach: wenn ich schwach bin - dann bin ich stark durch den Herrn! Dies zieht sich ja auch wie ein roter Faden durch die heiligen Schrif­ten: das Lob der schöpferischen Lebens- und Auferstehungskraft des Herrn und Heilandes über unserem Unvermögen, über un­serer Schwachheit und Unfähig­keit! Sein Wirken schafft Leben – Leben aus dem Tod, neues Leben; und es drängt zur neuen Schöpfung, zur neuen Erde, in der Gerechtigkeit wohnt!

 

 

Daher tun wir gut daran, wenn wir heute wieder den ersten messianischen Juden nacheifern, und die Einstellung etwa eines Paulus nachahmen, der gesagt hat. „Darum, weil wir dieses Amt haben nach der Barmher­zigkeit, die uns widerfahren ist, werden wir nicht müde, son­dern wir meiden schändliche Heimlichkeit und gehen nicht mit List um, fälschen auch nicht Gottes Wort, sondern durch Offenbarung der Wahr­heit empfehlen wir uns dem Gewissen aller Menschen vor Gott. Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden, den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn ver­blendet hat, dass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlich­keit Christi, welcher ist das Ebenbild („zelem") Gottes. Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern den Messias Jeschua, dass er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen. Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns ent­stünde die Erleuchtung zur Er­kenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht des Messias Jeschua" (1. Kor.4, 1-6). - Diesen Schatz haben wir, so­lange in dieser Zeitlichkeit, aller­dings in irdenen Gelassen, damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns (1. Kor.6, 7). Dessen werden wir stets eingedenk bleiben, wenn wir unseren Blick auf den Gekreuzigten und Auferstandenen gerichtet halten! Daher steht uns ganz besonders in dieser Endzeit bei mit der anhaltenden Messias­liebe, „damit in allem Gott ver­herrlicht werde durch den Mes­sias (Christus) Jeschua, dem die Herrlichkeit ist und die Macht in alle Ewigkeit. Amen" (1.Petrus 4,7-11).

Micha Owsinski (Israel)

 


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