Prophetisch leben

Von Pastor Wolfgang Wegert ©

A: Prophetisch leben


Predigttext: "Nachdem Gott in vergangenen Zeiten vielfältig und auf
vielerlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er in diesen
letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn. Ihn hat er eingesetzt zum Erben über
alles. Durch ihn hat er auch die Welten geschaffen." (Hebräer 1,1-2)


Wir sprechen zur Zeit über das große Thema "Jesus Christus, unser Mittler":
"Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich
der Mensch Jesus Christus" (1. Timotheus 2,5). Dieser Mittlerdienst unseres
Herrn Jesus vollzieht sich in drei Aufgaben, in drei sogenannten Ämtern.
Jesus ist Priester, König und Prophet. Über den Hohenpriester Jesus Christus
haben wir gesprochen. Heute geht es um Seinen Mittlerdienst als Prophet.

I. Was ist ein Prophet nach der Bibel? Das griechische Verb "prophemi", von
dem das Wort "Prophet" abgeleitet ist, setzt sich aus zwei Worten zusammen,
nämlich aus "pro" und "phemi", was soviel bedeutet wie "reden", "für reden"
oder "von her reden", eigentlich weniger "vorausreden". Auf Gott bezogen könnte
man einfach sagen: Ein Prophet ist der, der von Gott her redet. Mehr nicht,
aber auch nicht weniger. Er ist ein Botschafter, der die Kunde Gottes, die er
empfangen hat, an Menschen weitergibt und somit verkündigt.

Wer sind solche Propheten? Mose ist zum Beispiel ein solcher Prophet
gewesen, Samuel ebenso, auch die Apostel waren Propheten. Auch die Reformatoren kann
man hier mit aufzählen, denn sie redeten ebenfalls von Gott her, sie
verkündigten Gottes Evangeliumsbotschaft, und sie waren buchstäblich Reformer wie
auch die Propheten des Alten Testamentes. Sie empfingen Botschaft von Gott und
fürchteten sich nicht, in Seinem Namen zu reden und zu handeln. Vom Heiligen
Geist erfüllte Verkündiger des Evangeliums sprechen auch heute noch von Gott
her, und sie sind Seine Boten, ausgerüstet, das Wort Gottes in der Kraft des
Heiligen Geistes und mit Freimut zu proklamieren, zu verkünden und somit
Gottes Mund zu sein.

Sie sind im Alten wie auch im Neuen Testament Erinnerer an Gottes Gebote,
Ermahner und Rufer zur Umkehr und Buße. Sie wachen und bewahren das Wort des
Herrn. Sie stehen gegen Ungerechtigkeit und Abfall auf. Sie haben den Mut,
dafür auch Nachteile in Kauf zu nehmen. Sie verkündigen Gottes Gerichte, aber
auch Seinen ewigen Bund und Seine gewaltigen Verheißungen. Sie sind somit Leiter
des Volkes Gottes und auch Führer, die den Gott gemäßen Weg weisen. Das
versteht die Bibel insgesamt unter einem Propheten. Propheten sind Menschen, die
für Gott und von Ihm her reden und eine Botschaft, die sie empfangen haben,
weitergeben und verkündigen.

Ich sage ganz allgemein: Solche Propheten braucht das Land. Solche
Propheten, die in Vollmacht die Rechte des Herrn verkündigen, die Seine Gebote wieder
aufrichten und die mit göttlicher Autorität zur Buße rufen und das Evangelium
verkündigen. Das ist ein Appell besonders an junge Menschen. Wir kennen die
Geschichte, wie Gott den Propheten Samuel berufen hat. Samuel antwortete:
"Rede, Herr, denn dein Knecht hört" (1. Samuel 3,9). Das wünschen wir uns, daß
Gott in unserem Land, in unseren Völkern Propheten erweckt.

II. Bibelworte, die Christus als Prophet herausstellen. Nun haben wir aber
gesagt, daß Jesus der Prophet ist. Unser Predigttext sagt es ausdrücklich.
Früher hat Gott geredet zu den Vätern durch die Propheten, aber heute redet Er
durch Seinen Sohn. Er ist der Prophet, der Prophet der Propheten.

"Einen Propheten wie mich", sagt Mose im Auftrage Gottes zu Israel, "wird
der Herr, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr
gehorchen" (5. Mose 18,15). Das war eine prophetische Rede auf den kommenden
Propheten. Und daß dieser eine Prophet, der so sein würde wie Mose, Christus
ist, bestätigt Petrus in seiner Predigt, nachdem der Lahme an der Tempeltür
geheilt worden war. Petrus nimmt Bezug auf dieses Wort und sagt: "Das ist er, auf
den die Propheten geweissagt haben" (vgl. Apg 3,18-26).

Als Jesus unter den Menschen war, die Ihn umringten, ergriff sie Furcht,
"und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns
aufgestanden, und Gott hat sein Volk besucht" (Lukas 7,16). In Lukas 13,33 sagt Jesus
selber von sich, daß Er der Prophet Gottes ist. Jesu Dienst auf Erden war
gekennzeichnet von prophetischem Wirken. Er sprach von zukünftigen Dingen, von
Seinem Leiden, von Seinem Sterben. Denken wir nur an Matthäus 24, wo Er auch
die Zeichen der letzten Zeit vor den Augen Seiner Hörer entfaltete. Er redete
gewaltig. Sein prophetischer Dienst war über den aller anderen erhoben. "Die
Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst aus." – Er
hatte sie empfangen – "Und der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke"
(Johannes 14,10). "Der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm
gehört habe, das rede ich zu der Welt" (Johannes 8,26b).

III. In Christus ist aller prophetischer Dienst zusammengefasst und erfüllt,
von Anbeginn bis heute und bis zum Ende. Er ist nicht nur der König aller
Könige, der Herr aller Herren, Er ist nicht nur der Priester aller Priester,
sondern Er ist auch der Prophet aller Propheten. Warum?

A. Alle Propheten des Alten Testamentes haben auf Ihn geweissagt. Der
kommende Messias war das Thema der alttestamentlichen Propheten. Und was sie
geredet haben, war im Kern heilsgeschichtlich und immer auf den kommenden Christus
bezogen.

Auch neutestamentliche Prophetie muß sich immer an Christus messen lassen.
Ein prophetisches Wort in der Gemeinde ohne Bezug auf den Herrn und Sein Wort
ist im biblischen Sinn keine Weissagung, sondern höchstens falsche Prophetie.
Göttliche Prophetie kommt also immer von Jesus her und führt zu Ihm hin. Er
ist der Mittelpunkt jeder geistlichen Mitteilung. Darum betont Paulus: "Denn
ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus
Christus, den Gekreuzigten" (1. Korinther 2,2).

B. Jesus ist auch deshalb der größte Prophet, weil alle Prophetie, die
irgendwann und irgendwo geschieht, nur durch Ihn geschieht. Nicht nur alle
Prophetie bezieht sich auf Ihn, sondern alle Prophetie geschieht durch Ihn. Wir
haben schon gehört, daß Christus alles in allem erfüllt. "Denn in ihm ist alles
geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist. Es ist alles durch ihn und zu ihm
geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm" (Kolosser
1,16-17). Auch alles prophetische Wirken besteht in Ihm und geschieht durch Ihn.
Nicht nur die Schöpfung besteht in Ihm und geschah durch Ihn, sondern auch
alles geistliche Leben, alles geistliche Wirken, jede geistliche Begabung und
Gnade geschieht nur durch den Einen, der höher ist als alle. Name über alle
Namen!

Christus hat schon im Alten Testament als Prophet gewirkt. Häufig ist dort
vom "Engel des Herrn" die Rede. Wer in Gottes Wort, besonders auch im Alten
Testament, bewandert ist und die Zusammenhänge etwas versteht, weiß, daß dieser
Begriff ein Hinweis auf Jesus ist. Der Bote ist Christus selbst. Wir
erinnern uns, daß dieser "Engel des Herrn" zu Abraham sprach, als er seinen Sohn
Isaak im Auftrage Gottes opfern sollte (1. Mose 22,11). Schlußendlich blieb
Isaak am Leben, und Abraham fand nach dem Gespräch mit dem Engel einen Widder zum
Opfer. Der "Engel des Herrn" steuerte diese Geschichte und bewegte auch die
Botschaft, die dahintersteckt: Es ist eine Prophetie auf Jesus Christus, den
Sohn Gottes, der einst kommen wird, für Sünder zu sterben.

Man kann auch die Geschichte von Mose mit dem brennenden Dornbusch nehmen
(2. Mose 3,2ff). Der "Engel des Herrn" entfaltet hier eine gewaltige Schau
heilsgeschichtlicher Dimension! Wer ist da der prophetisch Handelnde? Ist es
Mose? Ist es ein anderer Mensch? Es ist der "Engel des Herrn". Es ist der
Christus, der Botschaft bringt von Gott her und somit schon damals ein Prophet ist.

Auch Jakob rang einst mit dem "Engel des Herrn" und hat gesiegt. Auch das
ist wieder eine wunderbare Botschaft auf das kommende und herrliche Evangelium
hin. "Du sollst nicht mehr Jakob, sondern du sollst Israel heißen" (1. Mose
32,29).

Christus war auch durch den Mund der Propheten wie Daniel und Hosea aktiv.
Es war Sein prophetischer Geist, der durch die Menschen der Bibel geredet hat.
Petrus formuliert es so: "Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht
die Propheten, auf welche und was für eine Zeit der Geist Christi damals
schon deutete" (1. Petrus 1,10-11). Petrus sagt, es war der "Geist Christi", der
in den Propheten gewirkt hat und in ihnen ein Ziel hatte, auf das Er
hindeutete. Es war Jesus. Jesus, der Prophet im Alten Testament. Die ganze Bibel ist
vom Heiligen Geist inspiriert, und sie trägt ein und dieselbe Botschaft, und
diese Botschaft lautet: Jesus Christus, der Retter der Welt.

Denken wir auch an die Sprüche. Da taucht Jesus als die personifizierte
Weisheit von Gott auf (vgl. Sprüche 8), durch die Er wirkt und redet, wie es kein
Mensch tun könnte.

Auch Jesu Wirken als Mensch auf Erden war nichts anderes als herrliche
Prophetie. Wir wissen, daß Seine Worte, Lehren und Gleichnisse prophetisch waren.
Aber auch Seine Taten waren nicht die Vorführung von erstaunlichen und
umwerfenden Wundern. Gott wollte die Massen nicht mit Phänomenen beeindrucken.
Vielmehr lag in Seinen Wundern eine Predigt, eine prophetische Botschaft.

Aber auch nach Jesu Himmelfahrt hat Sein Prophetenamt nicht aufgehört. Er
wirkte durch die Predigten, durch die Lehren und den Dienst der Apostel immer
weiter. Immer wieder bezeugten sie, daß sie nicht aus sich selbst geredet
hatten, sondern durch den prophetischen Heiligen Geist. So soll auch der Dienst
eines jeden Verkündigers, auch mein eigener, nichts anderes als eine
Wiedergabe der Botschaft dessen sein, der sie gegeben hat. Gott möge allen
Kanzelrednern und Pastoren vergeben, wenn sie ihre eigenen Gedanken predigen. Wir sind
in der Verantwortung vor dem, der uns als Seine Botschafter gesandt hat, Seine
Botschaft wirklich sorgfältig, aufrichtig, ehrlich und treu zu übermitteln.
So haben es die Apostel in der Gemeinde getan.

Es war auch der Christus in Einheit mit dem Vater, der den Verfassern der
biblischen Bücher durch Seinen Geist Inspiration gab, so daß sie die heilige
und unfehlbare Bibel niederschreiben konnten. Darum wird die Heilige Schrift
auch insgesamt "das prophetische Wort" genannt (2. Petrus 1,19). Und in
Offenbarung 22,19 wird die Bibel als "das Buch dieser Weissagung" bezeichnet. Wer
von diesem Buch der Weissagung etwas hinwegnimmt oder hinzutut, wird die
entsprechenden Folgen tragen müssen (Offenbarung 22,18-19). Die Bibel ist ein
abgeschlossener Kanon göttlicher Botschaft, in der Gott Seinen heiligen Willen den
Menschen kundtut.

Alles prophetische Wirken geschieht also durch niemand anderen als durch
Jesus Christus allein. In 1. Korinther 12 heißt es quasi als Einleitung zu dem
darin aufgezählten Gabenkatalog: "Es ist ein Gott, der da wirkt alles in
allen" (V. 6). Der Prophet Jesus steht hinter und über allem.

Christus wirkt kraft Seines Geistes auch prophetisch durch Seine Kinder
heute. In der Wiedergeburt ist Jesus mit Seiner ganzen Fülle in das Leben der
Glaubenden eingetreten. Und nun legen sie Zeugnis ab, haben Worte der Weisheit,
Worte der Erkenntnis, sie weissagen, oder sie leben und handeln einfach nur
Gott gemäß. Was immer sie auch tun – Gotteskinder leben prophetisch. Weißt du,
daß du mit Gottes Geist erfüllt bist? Wenn ja, wohnt damit auch Sein
prophetischer Geist in dir. Und das wird auch prophetische Auswirkung haben. Gottes
Wort lehrt uns, daß ein Mensch, der Glied am Leibe Christi ist, mit dem Haupt
verbunden und somit auch von Gottes prophetischem Geist erfüllt ist. Das
heißt, du bist als Christ alleine schon durch dein Dasein eine Gottesbotschaft
für deine Mitmenschen - durch den Geist, der in dir wohnt.

Ein christliches Ehepaar lebte durch die Gnade Gottes in glücklicher und
gesegneter Beziehung zueinander, während sich die ungläubigen Nachbarn in
zerrütteten Verhältnissen befanden. Als es eines Tages zwischen diesen wieder
einmal schrecklich krachte, machten sie sich auf und klingelten verstört bei ihren
christlichen Nachbarn und riefen: "Wir sind am Ende, bitte sagen Sie uns das
Geheimnis ihrer glücklichen Ehe!" Es begann ein Gespräch, an dessen Ende die
beiden Streithähne ihr Leben dem Herrn Jesus übergaben. Die beiden Christen
wirkten offenbarend für ihre Nachbarn. Ihr Vorbild war prophetisch und somit
richtungsweisend.

Ich erinnere mich an meine Zeit als Ingenieur. Meine Kollegen führten gern
zweideutige und gotteslästerliche Reden – aber nur, wenn ich nicht dabei war.
Wenn ich unbeabsichtigt dazukam, war es ihnen peinlich, und sie hörten prompt
damit auf. Meine Gegenwart war ihrem Gewissen ein Anstoß. Sie fühlten sich
ins Licht gestellt. Ich bin ihnen zu einem Prophet geworden, ohne daß ich ein
Wort zu ihnen sprach. So soll durch das Leben eines jeden Christen Licht und
Offenbarung entstehen. Denn: "Es ist doch offenbar geworden, daß ihr ein
Brief Christi seid, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des
lebendigen Gottes…" (2. Korinther 3,3). Wir sehen also, wie Christus als der
Prophet aller Propheten auch durch das Leben eines jeden Christen wirkt.



B. Jesus – ein Prophet wie Mose

Predigttext: "Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott,
erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen." (5. Mose 18,15)

I. Die Einzigartigkeit des Prophetenamtes Christi. "Einen Propheten wie mich
...", sagt Mose. Es besteht also zwischen dem Propheten Jesus und Mose eine
Ähnlichkeit. In 5. Mose 18 wird beschrieben, wie Mose auf dem Berg Sinai war.
Seine besondere Aufgabe bestand darin, Botschaft in Form des Gesetzes von
Gott in Empfang zu nehmen.

Das war das erste Mal seit dem Sündenfall, daß Gott wieder konkret zu den
Menschen sprach. Aber Er tat es nur durch einen Vermittler, nämlich durch Mose.
Zu Beginn hatte Gott mit den ersten Menschen eine sehr enge Beziehung. Sie
hatten ungetrübte Gemeinschaft. Dann aber brach die Sünde ein. Als der Tag
gegen Abend kühl geworden war und die sonst so beglückende Gegenwart Gottes
wieder kommen wollte, versteckte sich Adam mit seiner Frau vor dem Angesicht des
Herrn (1. Mose 3,8). Das Gespräch war durch die Sünde also abgerissen. Und so
gibt es bis heute keinen natürlich geborenen Menschen, der die Stimme Gottes
vernehmen kann. Er kann mit seiner Vernunftbegabung zwar noch an den Werken
der Schöpfung erkennen, daß ein Gott ist – und Gott sagt, daß dieses Zeugnis
genügt, um schuldig zu sein (vgl. Römer 1,19-20). Der Mensch kann aber nicht
mehr die direkte Stimme Gottes hören, er müßte sterben. Und das war das
Problem am Berg Sinai. Vom Garten Eden an bis zu Mose war ein großes Schweigen –
von einigen Ausnahmen wie Henoch, Noah, Abraham und Jakob abgesehen. Diese in
Hebräer Kapitel 11 aufgelisteten Menschen hatten durch eine besondere Gnade
einen so starken, visionären Glauben an Christus, daß sie schon damals durch
ihn Gottes Stimme vernehmen konnten. Aber ansonsten war Schweigen da, bis zum
Sinai. Und das war auch besser so. Denn wenn sündhafte Menschen Gott direkt
begegnen, müssen sie aufgrund der Heiligkeit Gottes sterben.

Das war der Grund, weshalb Gott uns einen Propheten wie Mose gesandt hat.
Denn das Volk hatte ihn von Gott begehrt, aus Furcht vor dem verzehrenden
Feuer, das sie um den Berg sahen. Sie sagten zu Mose: "Rede du mit uns, wir wollen
hören; aber laß Gott nicht mit uns reden, wir könnten sonst sterben" (2.
Mose 20,19). Gott bestätigte das dem Mose, indem Er sagte: "Ja, sie haben recht
geredet" (5. Mose 18,17). Und dann weiter: "Ich will ihnen einen Propheten,
wie du bist, erwecken" (V. 18-19).

Und so ähnlich wie Mose ist uns auch Christus zum Sprachvermittler geworden.
Dazu hat Gott Ihn eingesetzt, damit wir nicht sterben. Darin liegt die
zentrale Bedeutung des Prophetenamtes Jesu Christi. Mose, Samuel, Nathan, Elia und
Elisa, Hesekiel, Jona, Micha, Sacharja, Amos und all die anderen, die Gott
für eine bestimmte Zeit als Propheten einsetzte, durch die Er redete – sie
waren dennoch alle nur ein kleines Vorzeichen auf den einen großen Propheten,
der kommen sollte und auf den hin sie alle geredet hatten. Und so bestätigte
Gott auf dem sogenannten Berg der Verklärung: "…Dies ist mein lieber Sohn, an
dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!" (Matthäus 17,5). Darum auch
noch einmal die Worte aus dem Hebräerbrief: "Nachdem Gott vorzeiten vielfach
und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er
in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat
zum Erben über alles" (Hebräer 1,1-2).

Damit ist das alttestamentliche Prophetentum beendet – genauso wie das
alttestamentliche Priestertum beendet war, als Jesus kam. So wie kein Priester
Aaron mehr nötig ist, so ist auch kein Mose als Prophet mehr nötig, der
vermittelnd für uns redet. Denn Jesus Christus ist unser Mittler (1. Timotheus 2,5).

Christus ist unser Mittler, der von Gott her zu uns redet durch Sein Wort
und Leben. Das sollen wir hören, und nichts anderes sollen wir als Stimme
Gottes anerkennen. Jesus ist die Stimme Gottes. Er ist das Wort des Herrn an uns.
Durch Jesus Christus und Sein prophetisches Wort haben wir alles, was zu
unserem Heil notwendig ist. Weitere Stimmen brauchen wir nicht. Willst du Gottes
Reden hören, dann höre Christus durch Sein Wort. Der lebendige Gott hat
alles, was Er den Menschen zu sagen hat, in einen einzigen Propheten hineingelegt
und in Ihm zusammengefaßt. Durch diesen einen und alleinigen Mund hat Gott
Seine volle und unfehlbare Offenbarungsbotschaft für alle Menschen und für alle
Zeiten gegeben. Ihn und noch ein paar andere? Nein, auf Ihn sollt ihr hören!
Er allein ist auserwählt, Prophet im vollsten Sinn des Wortes zu sein, weil
Er allein heilig und rein ist, die Gegenwart eines feuerflammenden Gottes zu
ertragen. Er allein kann in der unaussprechlichen Herrlichkeit Gottes wohnen,
Er allein kann Gottes Botschaft für uns vernehmen und an uns weitergeben,
ohne daß wir sterben müssen. Nur durch Ihn, durch Jesus Christus, kann wieder
Gespräch und Gemeinschaft mit Gott entstehen. Jesus macht klar: "Niemand kommt
zum Vater denn durch mich" (Johannes 14,6b). So können wir durch Ihn zu Gott
wieder sagen: "Abba, lieber Vater" (Römer 8,15).

II. Der Unterschied zwischen Christus und den Propheten des Neuen
Testamentes. Natürlich kommt in diesem Zusammenhang die wichtige Frage: "Was ist nun
aber mit den Propheten, von denen auch im Neuen Testament die Rede ist? Was ist
mit der Gabe des Weissagens bzw. mit der prophetischen Rede?" Das ist ein
komplexes Thema, welches ich jetzt nicht erschöpfend behandeln kann. Aber
einige Punkte grundsätzlicher Art möchte ich des Zusammenhangs und der
Vollständigkeit halber doch weitergeben. Worin besteht nun der Unterschied?

Es bleibt dabei, es gibt nur einen unfehlbaren Propheten. Nur Sein Wort
allein ist untrüglich. Wer dem etwas hinzufügen oder von ihm etwas wegnehmen
will, bekommt es mit ernsten Plagen zu tun (vgl. Offenbarung 22,18-19). Hier
sehen wir schon den Unterschied. Christus, der Prophet, hat eine vollkommene
Botschaft. Die braucht nicht verkürzt zu werden, die braucht nicht ergänzt zu
werden, und die braucht auch nicht korrigiert zu werden. Aber das prophetische
Dienen in der Gemeinde unterliegt der Prüfung. Aus diesem Grunde muß man
sagen: Ein Prophet im Neuen Testament redet nicht unfehlbare Worte wie die
Menschen, denen das geschriebene Wort eingegeben worden war. Da ein solcher Dienst
beendet ist, bleibt nur noch ein einziger vollkommener Prophet, und das ist
Jesus Christus.

Wenn wir das nicht beachten, kann es sein, daß wir uns in die Gefilde der
Zauberei und der Wahrsagerei hineinbegeben. Als Gott dem Mose dieses Wort, das
wir eingangs lasen, gab, geschah das in einer Zeit, in der Israel dabei war,
Schlangenbeschwörer, Wahrsager und Zeichendeuter zu befragen. Genau in diese
Situation hinein sagt Gott: "Achtung! Ich habe einen Propheten für euch. Den
sollt ihr hören. Sein Wort ist unfehlbar."

Darum meine ganz praktische Bitte auch an dich persönlich, für die
Gesundheit deines Glaubenslebens. Willst du dich vor falschen Propheten schützen und
auch vor Aberglauben, vor Magie, vor Esoterik und Zauberei, dann vertraue dein
Leben ausschließlich dem Propheten Jesus Christus an, dem Sohn des
lebendigen Gottes, und Seinem Wort. Dann bist du auf der sicheren Seite.

Und dennoch spricht das Neue Testament auch von Propheten innerhalb der
Gemeinde und auch vom prophetischen Reden bzw. Weissagen. Was ist damit gemeint?
Zwei wesentliche Punkte möchte ich kurz nennen:

A. Ein Prophet des Neuen Testaments hat als erstes die Verpflichtung, sich
unter die vollkommene Weissagung der Bibel zu stellen, sie zu lernen und ihrer
Erkenntnis und Wahrheit nachzustreben und sie vorbildhaft in der Gemeinde
auszuleben und dadurch auch auszulegen – mit Worten und Werken. Ein Prophet in
der Gemeinde ist also ein sorgfältiger Diener am prophetischen Wort – sei es
in der Gemeinde, im Hauskreis, in der Familie, in der Sonntagsschule.

B. Weiterhin besteht das prophetische Wirken im Neuen Testament im
wesentlichen in seelsorgerlicher Tätigkeit. "Wer aber prophetisch redet, der redet den
Menschen zur Erbauung, zur Ermahnung und zur Tröstung" (1. Korinther 14,3).
Grundsätzlich umfaßt Prophetie in der Gemeinde drei Aufgabenbereiche:
Erbauung, Ermahnung und Tröstung. Es geht also nicht so sehr um die Voraussage der
Zukunft. Vielmehr betont Paulus gerade hier im Korintherbrief, daß das
prophetische Wirken und Reden in der Gemeinde nichts anderes bedeutet als
seelsorgerliche Handreichung zur Auferbauung des Glaubens in der Gemeinde, zur
Ermahnung und zur Tröstung. Neutestamentliche Prophetie ist also seelsorgerlicher
Dienst – nicht einfach irgendein spektakuläres Gerede: "Wehe, wehe, wehe!"
Solche Worte haben keinerlei Kraft zur Auferbauung des Glaubens. Neutestamentliche
Prophetie ist Seelsorge.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Bibel unter Seelsorge nicht
einfach einen Fachbereich versteht, den man lernen kann. Seelsorge ist nicht in
erster Linie eine Frage von Fachkompetenz, wie man heute oft meint, sondern
sie ist eine Frage der prophetischen Vollmacht. Durch die Gnadengabe der
Weissagung bringt der Heilige Geist zurechtbringendes Licht. Und diese Gabe
geschieht durch ein schlichtes, zutreffendes Wort, durch eine Danksagung, durch
einen Psalm. Durch eine Mitteilung zur rechten Zeit, am rechten Ort werden
andere inspiriert, ihr Leben nach Jesus auszurichten. So kann es sein, daß
Menschen Seelsorge studieren und von Seminar zu Seminar gehen – und doch im
aktuellen Fall keine Antwort haben, weil die Methode und die Formel nicht hilft.
Denn jeder Mensch ist einmalig. Gott hat uns nicht in Serie produziert.
Niemanden gibt es zweimal, auch nicht den Zwilling. Die Psychologie versucht, uns in
Verhaltenskategorien einzusortieren. Aber die Bibel fragt: "Wer kann das Herz
ergründen?" (Jeremia 17,9). Es ist Gott allein, der es kann (V. 10). Wenn du
wirklich begnadete Seelsorge im Gespräch, im Hauskreis, am Telefon, in der
Gemeinde, von der Kanzel geben möchtest, dann kommen wir in der Tat ohne das
prophetische Wort nicht aus. Ohne den Impuls, der dem Helfenden gegeben ist,
damit dem Hilfesuchenden eine Antwort von Gott zuteil wird, kann Seelsorge
nicht zur konkreten Hilfe werden.

Geistesgaben sind also nicht die Vorführung von spektakulären Dingen,
sondern sind ein schlichtes Handwerkszeug, ein Instrument Gottes, das Er in die
Herzen der wiedergeborenen Christen legt – dem einen mehr, dem anderen weniger –
, damit sie durch das prophetische Wort ein Wort zur Ermahnung, ein Wort zur
Tröstung und ein Wort zur Erbauung haben. Es ging Paulus immer darum, daß
Menschen durch Verstehen geholfen wurde. Deshalb sollten durch den Heiligen
Geist prophetisch Redende immer mit Worten der Vernunft sprechen, damit bei den
Hörern Frucht entstand. Paulus sagte: "Du redest in den Wind, wenn die Leute
nicht verstehen, was du sagst" (vgl. 1. Korinther 14,9). Das prophetische
Wort ist von ihm wegen seiner seelsorgerlichen Kraft so favorisiert.

Von daher wollen wir bezüglich der neutestamentlichen Prophetie nicht so
hohe Ansprüche formulieren, als wären wir Propheten wie Elia. Laßt uns nicht so
auftreten, als sprächen wir Worte gleich der Bibel. Wer prophetisch redet,
ist weder ein Medium, noch befindet er sich in Ekstase. Er redet einfach durch
den Antrieb des Heiligen Geistes, der in seinem Innern wohnt. Er spricht, was
er von Gott her in seinem Herzen findet. Das formuliert er zu gegebener Zeit
mit seinen Worten aus, und Menschen finden dadurch Antwort. So natürlich,
aber auch so geistlich ist das. Jede prophetische Rede eines Gotteskindes muß
deshalb geprüft werden. Aus diesem Grund halte ich den Ausdruck "so spricht
der Herr" nicht für angemessen. Wenn jemand vor ein prophetisches Wort diesen
Satz setzt, kommt er mit dem Anspruch der direkten Rede und behauptet quasi,
daß unfehlbares Wort gesprochen wird. Im Alten Testament finden wir diesen
Satz nahezu dreihundert Mal [das hebräische ‚ko amar JHWH‘ kommt exakt 293 mal
vor], parallele Formulierungen nicht eingerechnet. Aber im Neuen Testament
gibt es diesen Ausdruck nicht wirklich ein einziges Mal. Dieser Bruch mit dem
Beginn der Gemeinde ist doch klar. Die vollkommene Prophetie ist in unserem
großen Propheten erfüllt. Und alles, was danach noch nötig ist, ist uns gegeben
zur gegenseitigen seelsorgerlichen Hilfe.

Die Bibel bezeugt eine große Bandbreite prophetischen Redens. Es beginnt mit
"Jesus Christus ist der Herr". Denn diesen Satz sagen zu können, ist bereits
durch den Heiligen Geist gewirkt (1. Korinther 12,3). Von dieser Grundgabe
her wirkt Gott verschieden. "So gibt es unterschiedliche Gaben, Dienste,
Wirkungen" (vgl. 1. Korinther 12,4-6).

Ich hörte z. B. von einer Frau, die mit furchtbaren Krebsschmerzen nachts im
Krankenhaus lag. Morgens um zwei klingelte ihr Telefon. Es waren Christen in
der Leitung, die den inneren Impuls bekommen hatten, ihr gerade in dieser
Stunde schwerster Anfechtung Worte des Trostes zu sagen. Sie hörten keine
Engelstimme, sie hatten auch kein Traumgesicht, sie taten einfach, was in ihrem
Herzen war. Und das war prophetisch. Natürlich gibt Gott auch manchmal einen
Traum oder eine Vision. Aber in der Regel geht es nach den Worten des Paulus:
"Ein jeder habe etwas" bis hin zu einer Offenbarung. Deshalb, liebes
Gotteskind, folge einfach deiner inneren Neigung. Denn dich treibt als Kind Gottes
doch der Heilige Geist. Ein Telefonanruf, eine Postkarte, ein Lied, ein
Bibelwort – was auch immer es sein mag, es kann prophetisch sein.

Trachte einfach danach, daß du anderen zum Segen wirst, daß du ihnen, und
vielleicht auch der ganzen Gemeinde, ein rechtes Wort geben kannst, das
ermahnt, tröstet und auferbaut. Laß dich erfüllen mit Gottes Geist, laß dich salben
und sprich durch ein hingegebenes Leben Worte in eine Situation hinein, die
du vielleicht gar nicht kennst. Gott helfe dir und mir dazu.
Amen.


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