Freiheit contra Rücksicht

Praxisfragen
aus den Korintherbriefen

„Freiheit contra Rücksicht?“
oder: Was wir als Christen alles dürfen (sollten) oder auch nicht.

Frage: Wir können uns kaum mehr einigen; die meisten der jüngeren Gemeindeglieder bei uns scheinen wohl eher von dem Grundsatz auszugehen,
daß jeder Christ das Maß seiner Freiheit selbst verantworten muß, ohne daß
man es ihm in irgendeiner Weise vorschreiben kann; gerade die älteren Geschwister können diese Art von Freiheit hingegen nicht nachvollziehen und auch nicht gutheißen, und sie meinen – übrigens wie auch ich –, daß die Bibel eben doch klare Anweisungen zur christlichen Lebensführung gibt.

Was die Bibel dazu sagt:

(1 Kor 6, 12+13):
Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangennehmen. Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichte machen.
Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.

(1 Kor 8, 9+13):
Seht aber zu, daß diese eure Freiheit für die Schwachen nicht zum Anstoß wird!
Darum, wenn meine Speise meinen Bruder zu Fall bringt, will ich nie mehr Fleisch essen, damit ich meinen Bruder nicht zu Fall bringe.

(1 Kor 10, 23+24):
Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient.

(1 Kor 10, 31-33):
Ob ihr nun eßt oder trinkt oder was ihr auch tut, das tut alles zu Gottes Ehre. Erregt keinen Anstoß, weder bei den Juden noch bei den Griechen noch bei der Gemeinde Gottes, so wie auch ich jedermann in allem zu Gefallen lebe und suche nicht, was mir, sondern was vielen dient, damit sie gerettet werden.

Festzustellen ist: Den äußeren Rahmen und damit die konkrete Situation des heutigen Lebens kann man mit
der Welt eines Paulus kaum noch vergleichen, aber die geistlichen Prinzipien, die unsere Antworten auf alle jene Fragen bestimmen, haben sich nicht verändert. Das heißt, auch wenn wir heute keine Probleme mehr mit dem Genuss von Götzenopferfleisch haben, erkennen wir in den Fragen der Korinther eine uns durchaus vertraute Sache: Die einen wollen einen „Freibrief“,
um ihre Bedürfnisse ohne schlechtes Gewissen und ohne erhobenen Zeigefinger anderer genießen zu können,
und die anderen wiederum suchen nach klaren Regeln.

Beiden Gruppen hat Paulus Entscheidendes zu sagen!

1. Gibt uns denn die Bibel nicht klare Regeln für unsere Lebensführung?

Ja – und auch nein!

Selbstverständlich hat uns die Bibel, und dabei besonders das NT, etwas zur Praxis unseres Lebens zu sagen. Und sie gibt uns dafür klare Prinzipien und setzt uns auch Grenzen, damit unsere Freiheit in Christus uns nicht letztlich zum Schaden wird.
Das wichtigste Prinzip für unser Verhalten als Christen ist die Liebe, sowohl untereinander als auch gegenüber allen Menschen. Das heißt, sobald etwas lieblos wird, habe ich dafür keine Freiheit mehr. Im Falle der Korinther konnte z.B. das Essen von Fleisch, das vorher den heidnischen Göttern geweiht worden
war, lieblos sein – aber nur unter gewissen Umständen. Nämlich dann, wenn dadurch ein anderer ebenfalls zum Essen dieses Fleisches verführt wurde, der es aber immer noch im Glauben aß, dass es Götzenopferfleisch sei – und sich so tatsächlich in seinem Inneren versündigte.

Und deshalb hätte Paulus dann sogar gänzlich auf den Genuss von Fleisch
verzichtet, wenn er sonst immer irgendwelche „schwache“ Christen in Gefahr gebracht hätte (so wie jemand, der sich auf den Dienst an alkohol- oder suchtkranken Menschen ausrichtet, wohl auch kaum umhin kommt, völlig auf Alkohol zu verzichten, unabhängig davon, ob er für sich selbst die Freiheit zu
einem „Gläschen“ hätte oder nicht).
Gab es jedoch diese Verführungsgefahr nicht, konnte ein „starker“, also freier
Christ, durchaus das Fleisch essen, wenn ihn z.B. ein ungläubiger Gastgeber eingeladen hatte. Er sollte im Gegenteil noch nicht einmal die Frage stellen, woher das Fleisch käme. Schließlich durfte solch ein Christ auch für dieses Essen Jesus danken und es auch „für Ihn essen“ (Röm 14, 6).

2. Ich darf also über meine „Freiheit in Christus“ selbst bestimmen?

Ja – und auch nein!

In einem nicht geringen Maß muss ich sogar darüber selbst bestimmen! Denn nur mein Herz kann letztendlich beurteilen, ob ich aus Liebe oder aus Eigennutz handle, auch wenn nach außen hin beide daraus resultierende Handlungen
gleich aussehen können – wie wir beim Götzenopferfleisch der Korinther sahen. Die wirklichen Beweggründe meines Herzens bzw. Gewissens kann nur Gott recht beurteilen (1 Kor 10, 29+30) – und nicht ein „anderer“, der möglicherweise dieselbe Sache aus einer anderen Motivation heraus angeht.
Und dennoch kann ich mir nicht „alles“ erlauben! Auch wenn es für die „starken“ Korinther kein Problem war, Götzenopferfleisch mit Genuss und mit großer Freiheit zu essen, bedeutete das noch lange nicht, dass sie auch
problemlos an irgendwelchen Festen und Mahlzeiten im Götzentempel teilnehmen konnten – frei nach dem Motto: „Wir wissen, dass es nur einen lebendigen Gott gibt; uns stören die toten Götzen herzlich wenig!“ (Was Paulus
diesen „besonders starken“ Christen zu sagen hatte, läßt sich klar in 1 Kor 10,19-22 nachlesen!)

Mit anderen Worten: Es gibt in unserer Freiheit als Christen auch ein „Zu weit“! Und neben der Rücksicht auf die „Schwachheit“ meines Bruders, die ich unbedingt „berücksichtigen“ muss, darf mich meine „Freiheit in Christus“ nicht aus der „Gemeinschaft mit Christus“ herausführen. „In Christus“ gibt es keine „Freiheit zu sündigen“! Gerade das wäre absurd! Der Genuss meiner Freiheit darf mich eben nicht „gefangennehmen“ – denn sonst ist es mit der Freiheit vorbei. Unser Herr lässt sich nicht zum Komplizen von Ehrsucht, Habsucht
und Unreinheit machen!

Was soll der Pastor einer Gemeinde in diesem Spannungsfeld tun?

Soll er alle Entscheidungen – wie
es ja meist auch ein Teil der Gemeinde wünscht – jeweils den einzelnen Personen selbst überlassen?

Wie wir oben schon gesehen haben, wäre das zu wenig und auch gefährlich. Zunächst einmal dürfen wir davon ausgehen,
dass ein verantwortungsbewusster Pastor die Gemeinde über die Prinzipien
von Freiheit, Verantwortung und rücksichtsvoller Liebe im Sinne des Paulus belehren wird. Ist das aber genug – oder wird er auch zu konkreten Fragen Stellung beziehen müssen? Ich glaube, dass er das zusammen mit den anderen Ältesten wohl muss. Aber sie werden dennoch nicht alle Fragen beantworten
können und vor allem auch nicht dürfen. Hier ist Weisheit und geistliche Wachheit angesagt; denn konkrete Fragen, die die Gemeinde beunruhigen, müssen geklärt werden, um den einzelnen Orientierung und der Gemeinde
eine gemeinsame Grundlage zu geben.

Aber die Leitung darf sich dabei nicht dazu hinreißen lassen, alles klären und regeln zu wollen. Es besteht eigentlich nur dann Handlungsbedarf, wenn die Fragen eindeutig einer der beiden folgenden Kategorien zuzuordnen ist:

• Ab welchem Punkt ist ein bestimmtes Verhalten als Sünde zu betrachten und kann nicht mehr akzeptiert werden?
• Worin erwarten wir als Gemeinde einen Verzicht auf bestimmte Freiheiten aus rücksichtsvoller Liebe, auch wenn die Freiheit für bestimmte Personen keineswegs Sünde wäre?

Gerade die letzte Fragestellung wird sich immer nur auf eine aktuelle (und immer wieder zu aktualisierende!) Auswahl im Gemeindealltag beschränken. Man stelle sich dafür einmal folgendes Beispiel vor:

Schwester A trägt niemals Hosen, weil sie und ihre Familie in Kasachstan aus der Bibel (5. Mose 22,5) belehrt wurden, dass Frauen keine Männerkleider tragen sollen. Ihre beiden Töchter handeln ebenso, auch wenn es dadurch
z.B. in der Schule nicht immer so einfach wird.
Schwester B trägt eigentlich immer Hosen, einmal aus praktischen Gründen und zum andern aber auch, weil sie sich aus ihrem
Äußeren wenig macht und sich so recht natürlich und vor allem auch anständig fühlt.
Es wäre recht schwierig, hier klären zu wollen,
wer von den beiden denn richtig liegt. Denn es geht hier nicht wirklich um Sünde, sondern um die unterschiedliche Auffassung
von Bibelstellen. Aber beide Schwestern müssen Rücksicht aus Liebe lernen: Schwester A darf diejenigen mit einer anderen Auffassung nicht aburteilen (etwa als „liberal“ oder „weltlich“); und sie darf auch nicht aufgrund ihrer eigenen Überzeugung Druck ausüben, etwa auf Neubekehrte oder Jugendliche! Aber auch Schwester B muss lernen, sich in
die innere Situation von Schwester A mit ihren beiden Töchtern hineinzuversetzen; das könnte bedeuten, im Gottesdienst auf die
„Freiheit der Hose“ zu verzichten, eventuell auch bei gegenseitigen Besuchen – und vor allem nicht deren Töchter umzustimmen
zu versuchen!

Aber – auch wenn die Antworten hier sehr verschieden sein können: „beliebig“ dürfen und brauchen sie noch lange nicht zu sein!

Schaut man sich die Bekleidung der Frauen unserer Tage an, dann stellt man schnell fest, dass die Übergänge hier mitunter fließend sind. Es kann schnell zur Sünde werden, wenn man z.B. mittels der Kleidung das andere Geschlecht „anmachen“ möchte oder diese Wirkung vielleicht erreicht, ohne sich selbst darüber klar zu sein bzw. aus Gedankenlosigkeit. Man denke an die extremen Formen des sog. Minirocks, an die sog, „Spaghettiträger“, an die Zurschaustellung der Bauchzone oder auch an durchsichtige Kleidung. Es geht vielfach einfach auch um die Frage: Ehren wir mit unserer Kleidung, mit unserer Erscheinung unseren Herrn; leben wir zu seiner Ehre?

(siehe dazu auch: Römer 14)


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