| Matthäus 15, 21 Eine merkwürdige Geschichte wird uns hier überliefert, die unser Bild von Jesus ziemlich ins Wanken bringt: eine Frau kommt zu Jesus und bittet ihn um Heilung. Das ist an und für sich nichts besonderes, die Bibel wimmelt von solchen Begebenheiten, Menschen erwarten von Jesus Heilung. Wer ist diese Frau? Eine kanaanäische Frau, eine Heidin. Sie wusste vermutlich nicht viel von Jesus, welchen Auftrag er hatte und so weiter, wofür er in diese Welt gekommen ist. Sie sieht Jesus und spürt oder weiß: das ist der Mann, der ihr helfen kann. Am Ende sagt Jesus zu ihr: Dein Glaube ist groß! Wie er das z.B. zum Hauptmann von Kapernaum sagt. Wenn Jesus das sagt, muss ihr Glaube wirklich groß gewesen sein. Worin besteht ihr Glaube? Nicht in einem Für-wahr-Halten oder in dogmatischem Fassungsvermögen. Der Glaube äußert sich in ihrem Gespräch mit Gott: in lautem Rufen, die Not wird dargelegt, sie ringt regelrecht mit Jesus. Das wichtigste aber: sie hat Gottes Schweigen ausgehalten, ohne aufzugeben, ohne davonzulaufen. Man muss sich das mal vorstellen: da kommt diese heidnische Frau zu Jesus, bittet ihn um etwas und er antwortet kein Wort, er schweigt. Das ist die größte Belastungsprobe unseres Glaubens. Wenn es im Gebet nur so sprudelt und Gottes Reden fassbar ist, dann ist Glauben leicht. Aber was ist, wenn man meint, nur ins Schweigen hineinzubeten, Reden mit Gott als Monolog, Einbahnstraße, Telefonhörer ohne Hörmuschel, mein Reden bleibt ohne Widerhall Doch schweigt Gott nicht über so vielen Nöten und Problemen unseres Lebens? Wir kennen den Satz doch zur Genüge: Wenn es einen Gott gäbe, dann würde er doch ...! Warum schweigt er? Warum tut er jetzt nichts? Diese Frage hat sich schon vielen auch in der Bibel gestellt (Hiob, Johannes): „Bist du es, der kommen soll oder sollen wir auf einen anderen warten?“ (Lukas 7, 19) Wenn du es bist, sag es uns! Merkst du nicht, wie entsetzlich dein Schweigen für uns ist? Wie es uns mürbe macht? Menschen würden nicht so lange schweigen! Aber sind die Menschen deshalb barmherziger? Offensichtlich nicht, wie wir am Verhalten der Jünger merken: ihnen geht das Schweigen Jesu hier zu weit, aber sie sind nicht barmherziger: „Jesus, nun tu was! Fertige sie ab. Nimm sie schon endlich dran, damit sie aufhört mit ihrer Schreierei!“ Den Jüngern geht die Frau einfach nur auf die Nerven. Ausdruck von Stress? Geheilt – auf Wiedersehen! Der nächste bitte! Der Mensch wird vielleicht nicht unbedingt persönlich gesehen, sondern als Objekt (Heilungsobjekt? Demonstrationsobjekt für die Macht Jesu?). Ganz anders Jesus: er sieht den Menschen in seiner Bedürftigkeit, ganz persönlich! Er heilt den Menschen um des Menschen willen, nicht um sich selbst herauszustellen. Aber ganz bemerkenswertes lernen wir hier auch: man kann Jesus nicht durch Lautstärke erreichen! Die Jünger: „Sie schreit hinter uns her!“ Aber das Schreien beeindruckt Jesus überhaupt nicht. Er schaut aufs Herz, es kommt nicht auf die Lautstärke an! Auch nicht auf wohlklingende Gebete, auf geschwollene Ausdrucksweise, sondern auf unser Herz. Dennoch antwortet Jesus nicht immer sofort; diese Erfahrung macht jeder von uns und auch diese Frau hier. Die Frau war eigentlich schon erhört in ihrem Rufen, die Jünger hatten sie bereits registriert, aber die Frau will zu Jesus! Das Unerhörte, aber für uns an und für sich nicht so Ungewöhnliche: Jesus schweigt! Er antwortet kein Wort! Was für eine Situation für diese Frau? Sie geht auf jemanden zu, den sie nicht kennt, von dem sie kaum etwas weiß, geschweige denn, dass sie ihn als ihren Heiland anerkennt und bittet ihn um etwas, was ihm an und für sich leicht fallen müsste, wenn das stimmt, was man von ihm sagt. Und dieser Jesus antwortet kein Wort. Doch anstatt wegzulaufen, aufzugeben, Gottes Schweigen als Desinteresse zu deuten, sich abzuwenden und vielleicht zu den Jüngern zu gehen, bleibt sie hartnäckig (und behält später recht damit). Hartnäckigkeit zeigt, dass das göttliche Schweigen andere Maßstäbe braucht als menschliches Schweigen; bei Menschen ist es vielleicht Anzeichen von Hilflosigkeit oder Gleichgültigkeit. Bei Gott ist es etwas anders: hinter diesem Schweigen werden größere Dinge gedacht und getan. Wo war das größte göttliche Schweigen? Am Kreuz von Golgatha: Die Macht der Finsternis durfte ihr letztes Aufgebot auffahren; die menschliche Grausamkeit durfte sich austoben; Gott sagte nichts dazu und die Menschen höhnten: Wo ist jetzt dein Gott? Gott schwieg auch noch als Jesus rief: Warum hast du mich verlassen? Und als er starb. Aber dann vollendet sich das große Geheimnis dieses Schweigens; inmitten dieses Schweigens hatte Gott die Wende schon eingeleitet und den Sieg errungen. Durch dieses Schweigen hat Gott mit gelitten und uns seine Wunden gezeigt. Von diesem Tag des Schweigens leben wir, was wären wir ohne das Kreuz? Gottes Schweigen ist anders als menschliches Schweigen, das hatte auch die Frau hier erkannt; vielleicht erkannte sie das, vielleicht war es auch nackte Verzweiflung; Jesus als letzter Strohhalm: wenn er nicht hilft, ist meine Tochter verloren. Das warum ist eigentlich gleichgültig, in jedem Fall glaubt sie an Jesus, sie kommt zu ihm und hält sein Schweigen aus. Wie schwer fällt uns das oft, Gottes Schweigen auszuhalten. Wir werden zornig, ungehalten, geben auf! „Gott hier hast du meine Anliegen und Wünsche, mach was draus und weg sind wir!“ Gottes Sprechzeit wird reichlich eingeengt; und dann beklagen wir sein Schweigen, nur weil wir es nicht ausgehalten haben. Die Frau hält es aus bis Jesus sein Schweigen bricht, aber was er sagt, kann nicht gerade Musik für ihre Ohren gewesen sein: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Und auf ihre erneute Bitte: „Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Hättest du das ertragen? Dieser Jesus, ihre einzige, ihre letzte Hoffnung, sagt ihr, dass sie nicht dazugehört, sie ist nur Hund, nicht Kind; er macht ihr klar, dass sie noch nicht dran ist, sein Auftrag liegt beim Volk Israel und diesem Auftrag muss er gehorsam sein. Sein Gehorsam geht so weit, dass er die Frau abweisen muss, obwohl er ihr vermutlich gern geholfen hätte; er würde gern, aber es liegt nicht in seinem Aufgabenbereich und daher weist er die Frau so grob ab, weil es gegen sein Naturell geht, nicht zu helfen. Was mag in dieser Frau vor sich gegangen sein? Die heilende Kraft Jesu durfte sie nur von weitem bewundern, Jesus als Helfer und Friedefürst: für andere Ja, für mich nicht. Vielleicht gibt es auch heute noch Menschen, die Jesus nur von weitem betrachten können, auf Abstand gehalten, vielleicht von Menschen, von der Kirche, von ihren Prägungen. Diese Frau aber wird von Jesus selbst auf Abstand gehalten: „Du gehörst nicht dazu!“, doch nach nur einem weiteren Satz dieser Frau sagt Jesus: „Dein Glaube ist groß!“ Worin besteht dieser Glaube? Die Frau hat Jesus gesehen, hat gespürt, das ist der, den ich brauche; auch als er sie abweist, bleibt sie am Ball, gesteht ihre Hilflosigkeit, ihre Abhängigkeit; „Jesus, ohne deine Hilfe bin ich verloren!“ Welche Überwindung kostet uns dieser Satz heute, auch wenn wir theoretisch wissen, dass das so ist? Zuzugeben, dass unsere eigene Kraft nicht reicht und wir uns so schwach bekennen wie wir tatsächlich sind. Durch all diese Barrieren, sogar der Lieblosigkeit der Jünger und der Zurückweisung durch Jesus selbst, kämpft sich die Frau in ihrer Verzweiflung durch. Sie ist nicht entrüstet, verletzt, gekränkt, sie spielt nicht mit dem Mitleid, verweist auf ihren großen Glauben, sondern sie macht etwas ganz anderes, unerwartetes. Sie stimmt Jesus zu und sagt: „Ja, Herr, du hast recht! Du hast recht, wenn du jetzt schweigst, wenn du nichts tust, es ist nicht selbstverständlich, dass du mir jetzt hilfst, ich habe keinen Anspruch darauf, sondern es ist deine Gnade!“ Es ist nicht selbstverständlich, dass Gott dich angenommen hat, dass er sich für dich hat ans Kreuz nageln lassen, die Vergebung ist nicht selbstverständlich, das Reich Gottes wird uns nicht nachgeworfen, die Gnade Gottes kann auch schweigen. Das scheint auch die Frau erkannt zu haben. „Ja, du hast recht. Aber ...“ und nun scheint sich die Frau selbst zu widersprechen: „aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Doch in diesem Widerspruch liegt unser Umgang mit Gott, unsere Begegnung mit Gott verborgen. Die Frau sagt nicht: Ja, du hast recht, aber eigentlich auch wieder nicht, denn du könntest mir doch helfen und das wäre unbarmherzig, wenn du es nicht tust.“ Nein, die Frau sagt: „Ja, Herr du hast recht, dein Wille geschehe, aber wenn es möglich ist, meinen Willen mit darunter zu beugen und zu fassen, dann erfülle doch meine Bitte.“ In dieses „Ja, Herr“ legt die Frau ihr ganzes Vertrauen; sie bejaht die Situation, aber sie weiß auch, dass sie ihr Vertrauen nicht wegwirft, wenn sie es auf Jesus wirft; es reicht schon, wenn ich ein paar Krümel dieser Kraft abbekomme, die dieser Jesus verkörpert. Herr, deine Güte ist so groß und im Überfluss vorhanden, dass selbst die, zu denen du nicht gerufen bist, davon genug bekommen. Die Frau greift den Vergleich Jesu auf ohne Kränkung, sie spinnt den Vergleich weiter und zeigt Jesus, dass sie ihn verstanden hat. Und sie zeigt Jesus, dass sie ihm auch jetzt noch vertraut. Und sie gibt sich damit nicht zufrieden, weil sie weiß, dass das immer noch der helfende, gebende Gott ist, der sich trotz des Schweigens nicht entzieht. Es gilt immer noch: wer bittet, dem wird gegeben usw. Sollte uns das nicht ermutigen, Jesus viel öfter beim Wort zu nehmen und nicht so schnell aufhören mit unseren Gebeten? Was hält uns denn davon ab, ihn beim Wort zu nehmen? Welches Risiko gehen wir ein? Muss es erst so weit kommen, nichts mehr zu verlieren bis wir Jesus beim Wort nehmen? Ist Schweigen Gottes nicht oft ein Ausdruck dafür, dass wir ihn gar nicht oder nur sehr kümmerlich gefragt haben? Die Frau hat alles richtig gemacht und hört von Jesus: „Dein Glaube ist groß!“ Wer wünscht sich nicht, dass Jesus das zu ihm sagt? Die Frau hat, wie andere vor und nach ihr, mit Gott gerungen, hat ihn gebeten, hat sein Schweigen ausgehalten und alles gewonnen; hat es wie Jakob gemacht: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! Gebet kann auch Ringen mit Gott sein. Ringen aber nicht wie im sportlichen Bereich, die Muskeln spielen lassen und so, sondern sich mit Gott und seinem Wort auseinandersetzen und Gott beim Wort nehmen, da sind wir, viele, die meisten von uns überaus träge und nachlässig! Gottes Schweigen ist nur ein vorübergehendes Schweigen, er will reden, sich offenbaren, handeln, aber er wartet, dass wir bereit werden dazu; ich denke, das gilt für jeden von uns und auch für uns als Gemeinde momentan ganz besonders. Wir stehen vor ganz besonderen Herausforderungen in vielfacher Hinsicht. Ich glaube, Gott wartet bis wir ihn bitten, zu uns zu reden; zu uns als Gemeinde und zu dir persönlich. Wo hakt es bei dir? Schweigt Gott in deinem Leben momentan? Hast du den Eindruck, dass es da nicht fließt? Hast du Probleme, Gott zu suchen, zu beten, die Stille, Gottes Schweigen auszuhalten? Halte durch, halte es aus und ringe mit Gott! Das falscheste, was du tun kannst, ist Jesus aus dem Weg zu gehen, zu sagen: es hat keinen Zweck. Gehe zu Gott und frag ihn, warum er schweigt und warte auf die Antwort und ertrage die Antwort! Roland Blümel |